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MEMORIAL - HARALD POELCHAU - BERLIN - JUSTIZVOLLZUGSANSTALT TEGEL

During a year (two times every month), 12 inmates from the Justizvollzugsanstalt Berlin Tegel, two prison chaplains, and the artist Katrin Hattenhauer worked together to find the form for the memorial to Harald Poelchau's courage

Poelchau took the post of prison chaplain at the prison Berlin Tegel from 1933 - 1945 and 1949 - 1951. As an official in the Justice Department, he rapidly became an important source for the victims of National Socialist violence and gave spiritual comfort to hundreds of people sentenced to death as they faced execution. He helped to hide and support Jews who were living underground. From 1941 on, he was a member of the Kreisau Circle - an underground opposition circle where the members were developing democratic concepts and plans for the structure of a new Germany for the time after Hitler´s regime.

In 1972, the Poelchaus were honoured as "Righteous Among the Nations", and a tree was planted in Yad Vashem. 

The memorial to him consists of two parts: a life-sized, two-dimensional stainless steel figure of a man who seems to be walking through a wall and a human-sized mirror labelled with the question: WHAT DOES IT TAKE TO HELP THE OTHER? The words appear on the mirror's surface and become readable when someone approaches. While the viewer reads the question and begins to think, he sees himself in the mirror and understands the answer. 

During the course of our collaboration, we have repeatedly asked ourselves what courage means to us, and we have discussed and exchanged our thoughts to find the one common form, the one common sculpture that hopefully would speak to other people as well. 

It was important to us that this memorial not only honours the outstanding courage of a special man but is also a reminder and a celebration of the possibility of courage that lives in each one of us. 

One of the inmates summarised our work as follows: Harald Poelchau has done so much for prisoners; now, prisoners do something for Harald Poelchau.

(This is a short version of the German article about the memorial. The monument was handed over to the public on October 5, 2018, on the occasion of Harald Poelchau's 115th birthday by Andrea Siemsen, his daughter, Senator of Justice Dirk Behrendt, and General Superintendent Ulrike Trautwein.)

Eine Soziale Skulptur als Denkmal für den evangelischen Gefängnisseelsorger Harald Poelchau in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel

 

1972 wurden Harald und Dorothee Poelchau als „Gerechte unter den Völkern“ in Yad Vashem geehrt, ein Baum wurde für sie gepflanzt.

 

In der Justizvollzugsanstalt Berlin- Tegel, wo Harald Poelchau von 1933 bis 1945 und von 1949 bis 1951 arbeitete, erinnerte bis zu diesem Jahr nichts an ihn. 

 

Am 5. Oktober 2018 zum 115. Geburtstag von Harald Poelchau wurde von Andrea Siemsen, seiner Tochter, von Justizsenator Dirk Behrendt und von der Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein ein Denkmal für ihn an zwei Stellen in und vor der JVA Tegel der Öffentlichkeit übergeben: Einmal mittendrin in der Justizvollzugsanstalt an einer Stelle, an der viele der Insassen täglich auf dem Weg zur Arbeit vorbeigehen und ein zweites Mal vor den Toren der JVA direkt neben dem Besuchereingang zur Anstalt. Denn die Insassen sollen die Möglichkeit haben, das Denkmal zu sehen, und gleichzeitig soll deutlich werden, dass Harald Poelchau durch sein Wirken die Menschen „drinnen“ und „draußen“ verbunden hat.

 

Das Denkmal: Eine lebensgroße, zweidimensionale Edelstahlfigur, ein Mann im Profil, der durch eine Mauer zu schreiten scheint im Anzug mit seiner Aktentasche vorneweg, die schon in der Mauer verschwindet. Neben der Figur ein menschengroßer Spiegel beschriftet mit der Frage: WAS BRAUCHT ES EINEM ANDEREN ZU HELFEN. Die Worte erscheinen auf der Oberfläche, werden lesbar, wenn sich jemand nähert. Während der Betrachter die Frage liest und beginnt nachzudenken, sieht er sich selbst im Spiegel und begreift die Antwort. 

 

Dem Anstaltsleiter Martin Riemer ist besonders zu danken, dass ich im September 2017 gemeinsam mit zwölf der ausschließlich männlichen Insassen der JVA, den beiden derzeitigen evangelischen Gefängnisseelsorgern Erhard Wurst, Christina Ostrick, dem Leiter der sozialpädagogischen Abteilung, Axel Briemle, und der Beauftragten für Erinnerungskultur der EKBO, Marion Gardei, die Arbeit am Denkmal für Harald Poelchau in der JVA Tegel aufnehmen konnte.

 

Es sollte eine Soziale Skulptur als Denkmal für Harald Poelchau entstehen. Der Künstler Joseph Beuys, der u.a. die Grüne Partei mitbegründet hat, hat viele seiner Arbeiten als Soziale Skulptur bezeichnet. Er war überzeugt, dass jeder Mensch ein Künstler ist. Und das verstand er nicht im konventionellen Wortsinn, sondern viel radikaler im Sinn von: Jeder Mensch kann und soll sich mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen. Dafür muss es Möglichkeiten geben und wenn es diese nicht gibt, müssen wir sie gemeinsam erschaffen. Denn nur dann, wenn jeder Mensch teilhaben kann, leben wir in einer lebendigen Demokratie. Es ist diese Teilhabe, die eine Demokratie erst ausmacht.  Er glaubte an gemeinsames Arbeiten an Ideen und ihrer Verwirklichung: Für Ergebnisse aus diesen Prozessen hat er den Begriff „Soziale Skulptur“ geprägt, egal ob am Ende die Gründung einer Grünen Partei oder eine Skulptur für Harald Poelchau stehen würde.

 

Wenn wir die Worte Courage und Mut hören oder lesen, welche Bilder kommen uns dann in den Sinn? Wenn ich fragen würde, was diese persönlichen Bilder von Mut mit dem Mann Harald Poelchau zu tun haben könnten und wie diese Bilder zu abstrakten Begriffen im Kopf sich formen lassen könnten in eine Skulptur, die Persönliche Vorstellungen von Mut auch anderen Menschen zugänglich und Verständlich machen könnten, dann stehen wir gemeinsam am Anfang eines Arbeitsprozesses hin zur Entwicklung einer Sozialen Skulptur, eines Prozesses, den 12 Insassen, eine Künstlerin und 2 Gefängnispfarrer ein Jahr durchlaufen haben, um zu dem zu gelangen, was heute als Denkmal in der JVA an Harald Poelchau erinnert.

 

Im Laufe dieses Prozesses haben wir uns diese Fragen nach Mut und Courage in der Gruppe immer wieder gestellt, diskutiert und ausgetauscht, um die eine gemeinsame Form, die eine gemeinsame Skulptur zu finden, die hoffentlich auch zu anderen Menschen spricht.

 

Zu Beginn unserer Arbeit stand der gemeinsame Wille dem außergewöhnlichen Mut von Harald Poelchau und der Hingabe zu seinem Beruf und seinen Überzeugungen ein „Denkmal“ zu setzen. Ich habe mich am Anfang gefragt: Wie mache ich das? Gemeinsam eine Form für den herausragenden Mut eines Mannes zu finden, der viele Menschen gerettet und so viele Menschen bis zum Tod begleitet hat, eine Form zu suchen gemeinsam mit Menschen, die straffällig geworden sind und sich mit ihren Taten ganz im Gegensatz zum Wirken von Harald Poelchau befinden?

 

Ich hatte keinen Plan für diese Arbeit, aber ein Ziel: Dieses Denkmal sollte eine Ehrung für Harald Poelchau werden und auch eine Erinnerung daran, dass in jedem von uns die Möglichkeit wohnt, gut und mutig zu sein.

 

Bevor wir uns mit Fragen der Gestaltung beschäftigen konnten, gab es viele Lücken zu füllen bei uns allen: Wer war Harald Poelchau? Warum war er fähig so vielen Menschen zu helfen? Woher nahm er die Kraft und Überzeugung für seine Haltung? Was war seine tägliche Arbeit im Gefängnis und wie hat er sie verstanden? Daraus folgten Fragen nach dem Guten im Menschen und was unsere Aufgabe in diesem Leben ist. Plötzlich kommen bei der künstlerischen Arbeit im Gefängnis Gespräche darüber auf, warum der eine ein guter Mensch wird und ein anderer schlecht handelt. Warum kommt einer ins Gefängnis? Kann Schuld „abgesessen“ werden? Gibt es eine zweite Chance nach der Schuld?

 

Es war eine starke Entdeckung und bleibende treibende Motivation für die Gruppe zu verstehen, dass Harald Poelchau aus Überzeugung Gefängnisseelsorger war, auch wenn dieses Denkmal für herausragendes Handeln im politischen Widerstand gegen Hitler steht. Für Poelchau war es selbstverständlich, dass jeder Mensch – auch ein straffällig gewordener Mensch – menschlich behandelt werden soll, befähigt und ermutigt werden soll, nach seiner Strafe in die Gesellschaft zurückzukehren.

 

Die Auseinandersetzung mit dem Leben von Harald Poelchau, seinen Anschauungen und seinem Glauben beinhaltete auch immer eine Befragung des eigenen Lebens, der eigenen Entscheidungen, der eigenen Haltung. Gleichzeitig musste und sollte auch die künstlerische Arbeit, die Formfindung und Beschäftigung mit Formsprach und Gestaltungsdiskussion sich weiterentwickeln. Für alle Beteiligten war es ein herausfordernder aber doch spannender Entwicklungsprozess weg von der ersten scheinbar naheliegenden Ideen von Skulptur, Stele, Gedenktafel. 

 

„Unser“ Harald, wie ihn die Gruppe nannte, sollte aus einem anderen Material sein als die Gefängnismauer, durch die er hindurchgegangen ist. Dauerhaft sollte sein Bild sein – und Rost passte da nicht mit einem Mann zusammen, dessen Taten und die Erinnerung an sie einfach nicht verrosten sollen. Aus diesen Gründen haben wir für die Figur Edelstahl gewählt. Harald Poelchau versteckte und transportiert in seiner Aktentasche Briefe der Inhaftierten, zum Tode Verurteilten und ihrer Angehörigen, Lebensmittel und manchmal sogar Plätzchen und Honig. Auch wenn er natürlich dafür mit seiner Aktentasche die Türen benutzt hat, war sein Tun etwas, womit niemand rechnete und das eigentlich fast nicht vorstellbar war. Diese Türen zu benutzen – es war damals so als wäre er wirklich durch Mauern gegangen. Er hat das nicht für möglich Gehaltene eben gemacht. Daran erinnert die Aktentasche.

 

Um die Frage für den Spiegel zu finden und zu formen, haben wir ungezählte andere Möglichkeiten diskutiert und verworfen. Ein wichtiges Detail wurde hart erstritten: soll da „EINEM ANDEREN“ oder einfach nur „ANDEREN“ stehen. Wir kamen zu dem Schluss, dass es viel, sehr viel bedeutet, wenn man EINEM anderen helfen kann und dass das so viel erreichbarer und möglicher erscheint.

 

Mit diesen Beispielen möchte ich deutlich machen, dass hinter jedem noch so kleinen Gestaltungsdetail unserer Skulptur die Entscheidungsfindung unserer Gruppe stand.

 

Neben einem Schnellkurs zu Aspekten zeitgenössischer Kunst, habe ich auch unsere Arbeitsweise und das Miteinander immer wieder thematisiert. So haben wir versucht, Entscheidungen möglichst gemeinsam zu fällen und den Prozess der Entscheidungsfindung mit Geduld und Verständnis für den anderen zu durchlaufen. Es war nicht einfach, immer wieder die Richtung zu bestimmen und darauf zu bestehen: Jede sich entwickelnde Idee bzw. Form sollte sich mit Poelchau und seinem Mut verbinden können.

 

Einer der Männer stellte wieder und wieder die Fragen: „Warum machen wir das? Was wird unser Denkmal verändern? Werden Menschen in unseren Spiegel schauen und sich vielleicht etwa entschieden, morgen einen Flüchtling aufzunehmen oder sich besser, menschlicher zu anderen zu verhalten?“

 

Er selbst glaubte daran nicht. Er sagte: „Wir wachen in demselben Gefängnis auf und keiner hier sieht uns deshalb mit anderen Augen. Und draußen nimmt wegen unseres Denkmals auch niemand einen Flüchtling auf. Das Gute ist eine Illusion.“

 

Ich erwähne diese Fragen hier, weil sie entscheidende Fragen für unseren Arbeitsprozess auf dem Weg zur Sozialen Skulptur waren. Dieses persönliche Ringen, der Austausch, die vielen Gespräche, die zur Skulptur geführt haben und die, wenn auch beinahe unsichtbar, genauso wichtig sind wie das Ergebnis.

 

Ich sagte: „Es ist wahr, was Du sagst – Du wachst auf in diesem Gefängnis und das Denkmal ändert wahrscheinlich nichts daran, wie Du hier gesehen wirst und ja – niemand nimmt draußen einen Flüchtling auf, nachdem er in unseren Spiegel geschaut hat. Aber wir ehren einen Mann, der Menschen versteckt und ihnen geholfen hat, ohne zu wissen, ob sie die nächsten Woche überleben werden, ohne zu wissen, ob er selbst in der nächsten Woche noch da sein wird, um ihnen helfen zu können.“

 

Unser Gruppenkollege antwortete, dass es das ist, was er am meisten an Harald Poelchau bewundert, aber auch das, was er am wenigsten mit sich selbst verbinden kann. Es erscheine ihm wie eine Welt, zu der er selbst die Tür nicht gefunden habe in seinem Leben. 

 

Den am Projekt beteiligten Insassen der Justizvollzugsastalt gilt ein besonderer Dank, weil sie bereit waren, sich mit mir auf diese ungewöhnliche Reise einzulassen mit aller persönlichen Verpflichtung, Offenheit und Bereitschaft, die das erfordert hat. Wir haben uns gegenseitig Einiges abverlangt. 

 

Einer der Insassen fasste unsere Arbeit wie folgt zusammen:„Harald Poelchau hat so viel für Gefangene getan, jetzt machen Gefangene etwas für Harald Poelchau". 

Katrin Hattenhauer

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